Hälftige Teilung von Ansprüchen aus beruflicher Vorsorge im Scheidungsverfahren zwingend?
Immer wieder kommt in der Praxis die Frage auf, ob auf die Teilung der Vorsorgeguthaben verzichtet werden kann oder ob diese zumindest nicht hälftig geteilt werden müssen.
Im Gesetz gilt der Grundsatz, dass die Vorsorgeansprüche bei der Scheidung (oder wenn die Parteien im Ausland geschieden wurden nach der Scheidung in einem Schweizer Scheidungsergänzungsverfahren), hälftig geteilt werden. Art. 122 ZGB schreibt:
«Die während der Ehe bis zum Zeitpunkt der Einleitung des Scheidungsverfahrens erworbenen Ansprüche aus der beruflichen Vorsorge werden bei der Scheidung ausgeglichen.»
Per 1. Januar 2017 trat jedoch Art. 124b ZGB in Kraft, der diesen Grundsatz aufweicht:
«1 Die Ehegatten können in einer Vereinbarung über die Scheidungsfolgen von der hälftigen Teilung abweichen oder auf den Vorsorgeausgleich verzichten, wenn eine angemessene Alters- und Invalidenvorsorge gewährleistet bleibt.
2 Das Gericht spricht dem berechtigten Ehegatten weniger als die Hälfte der Austrittsleistung zu oder verweigert die Teilung ganz, wenn wichtige Gründe vorliegen. Ein wichtiger Grund liegt insbesondere vor, wenn die hälftige Teilung unbillig wäre:
1. aufgrund der güterrechtlichen Auseinandersetzung oder der wirtschaftlichen Verhältnisse nach der Scheidung;
2. aufgrund der Vorsorgebedürfnisse, insbesondere unter Berücksichtigung des Altersunterschiedes zwischen den Ehegatten.3 Das Gericht kann dem berechtigten Ehegatten mehr als die Hälfte der Austrittsleistung zusprechen, wenn er nach der Scheidung gemeinsame Kinder betreut und der verpflichtete Ehegatte weiterhin über eine angemessene Alters- und Invalidenvorsorge verfügt.»
In der Botschaft vom 29. Mai 2013 führt der Bundesrat hierzu unter anderem aus, dass er «in Übereinstimmung mit der Expertenkommission […] hinter dem Grundsatz der hälftigen Teilung der während der Ehe erworbenen Ansprüche aus beruflicher Vorsorge» stehe. Weiter schreibt er, er halte «es allerdings für unerlässlich, Ausnahmen vom Grundsatz der hälftigen Teilung vorzusehen.». Insbesondere sei es «geboten, den Ehegatten den nötigen Handlungsspielraum zu belassen. Diese kennen ihre wirtschaftliche Situation und ihre Vorsorgebedürfnisse am besten. Sie sollen deshalb auch das Recht haben, sich einvernehmlich auf den Vorsorgeausgleich oder auf den ganzen oder teilweisen Verzicht darauf zu verständigen, wenn dadurch ihre angemessene Vorsorge gewährleistet bleibt». Das Gericht hat zudem «die hälftige Teilung zu verweigern, wenn wichtige Gründe vorliegen». Der vormalige Entwurf, in dem stand, dass die Gründe «offensichtlich» sein müssen, wurde als zu restriktiv verworfen.
Damit ist der Boden für über- und unterhälftige Teilungen und auch den Verzicht der Teilung geebnet.
In der seit 2017 gelebten Praxis zeigt sich, dass der Verzicht im Einvernehmen der Parteien, wenn eine angemessene Vorsorge anderweitig gesichert ist, durchaus vorkommt. Das betrifft insbesondere auch grenzüberschreitende Fälle in denen der andere Ehegatte im anderen Land ähnlich hohe oder umfassende Vorsorgeleistungen erhalten wird bzw. angespart hat.
Die Verweigerung der Teilung durch das Gericht bleibt aber Einzelfällen vorbehalten.
Fallkonstellationen
Beispielsweise in BGE 5A_657/2023 vom 3. Oktober 2023: Die Ehefrau war während der Ehe nicht und der Ehemann vollzeitig erwerbstätig. Sein geäufnetes Vorsorgeguthaben beträgt knapp über Fr. 200'000.00. Von einer Teilung wurde abgesehen. Gründe waren vor allem, dass der Ehemann sich vollumfänglich um die unter seiner alleinigen Obhut stehenden gemeinsamen drei Kinder kümmere und den Kindesunterhalt vollständig aus seinem Erwerbseinkommen bestreite. Die Ehefrau sei nach Deutschland gezogen, wo sie bei einer Bundesbehörde bei einem freiwillig auf 60 % beschränkten Pensum ein Erwerbseinkommen von EUR 3’830.− erziele. Sodann besitze sie in München vier Liegenschaften, wobei sie diese nur teilweise vermiete. Sie verzichte mithin auf eine Ausschöpfung ihrer Erwerbskraft wie auch ihrer Möglichkeit zur Erzielung von Mieteinnahmen, weil sie es sich angesichts ihrer finanziellen Situation offensichtlich leisten könne. In diesem Fall sah das Gericht von einer Teilung ab.
Auch in BGE 145 III 56 wurde eine Teilung verweigert. Hier lag seitens des Ehemannes eine grobe Verletzung der Pflicht zum Unterhalt der Familie beizutragen vor. Der Ehemann habe während der gesamten Ehe nur sehr wenig gearbeitet und sich weder um die Kinder noch um den Haushalt gekümmert hat. Die Ehefrau hat die gesamte Last getragen. Vor diesem Hintergrund wurde die Teilung Ihrer geäufneten Vorsorgeguthaben verweigert.
Fazit
Festzuhalten ist anhand dieser zwei Beispiele, dass die Verweigerung der Teilung sehr spezielle Fallkonstellationen betrifft. Für die Mehrheit der Fälle ist die hälftige Teilung weiterhin die Regel. Mit einer Vereinbarung haben die Parteien aber einen grösseren Gestaltungsspielraum. Auch hier muss jedoch klar erstellt sein, dass die Altersbedürfnisse der anderen Partei gesichert sind. Das Gericht trifft hierbei eine Prüfpflicht von Amtes wegen.
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